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Film und Medien Stiftung NRW5. NRW-Dokutag

Der fünfte NRW-Dokutag fand am Freitag, 28. Mai 2021 online statt. Direkt im Anschluss wurden die Stipendiat:innen des 20. Gerd Ruge Stipendiums bekannt gegeben.

Der Dokumentarfilmmarkt ist rasanten Veränderungen unterworfen. Wir fragen Streamingdienste, Mediatheken, Sender und Macher nach ihren aktuellen Strategien für „Dokus“, Dokumentarfilme und Serien. Was wollen die Leute sehen? Wie gehen on air und online zusammen?

Und wie geht Kino, wenn das Kino zu ist? Was kann sich ändern in der Auswertung? Was muss sich vielleicht ändern? In zwei Case Studys wurden Erfahrungen aus dem letzten Jahr vorgestellt: „Das neue Evangelium“ und „100.000 – alles was ich nie wollte“.

Ganz aus der Praxis berichtete der AG Dok Vorsitzende David Bernet im Gespräch mit Sonja Hofmann (GF Filmbüro NW). Außerdem besprach er die Eckpunkte der neuen Honorarvergütung mit den öffentlich-rechtlichen.

Zu den Videos beim www.filmkongress.com

1) Die Perspektive der Produzent:innen

Den 5. NRW-Dokutag veranstaltete die Film- und Medienstiftung NRW als virtuelle Konferenz unter dem Motto „Kino, Fernsehen, Plattformen, neue Formate. Der Doku-Markt in Bewegung“. Zum Auftakt der Veranstaltung, die in Kooperation mit dem Filmbüro NW, der Deutschen Filmakademie, der AG DOK und dem Creative Europe Desk NRW durchgeführt wurde, sprach Moderatorin Ute Soldierer mit Arne Birkenstock. Der Geschäftsführer der Kölner Produktionsfirma Fruitmarket und Vorstandsmitglied der Deutschen Filmakademie analysierte die Auswirkungen von Pandemie und Lockdown auf den Bereich des Dokumentarfilms. Es handele sich um einen Ausnahmezustand für die Branche, der aber auch bereits zuvor schon aufgetretene Probleme noch offensichtlicher gemacht habe. Gleichzeitig betrachte er diese Phase auch als Chance, da sie das Ausprobieren alternativer Modelle bei der Auswertung von Filmen ermöglicht habe, betonte Birkenstock.

Der Produzent war mit Fruitmarket u.a. an Milo Raus „Das neue Evangelium“ beteiligt, der mit Unterstützung von 91 Kinos online ausgewertet wurde. Solche gemeinschaftlichen Experimente seien notwendig, um den Dokumentarfilm auch in Zukunft gezielter an sein Publikum zu bringen. Es habe sich in der jüngeren Vergangenheit gezeigt, dass ein Flächenstart im Kino für Filme dieses Genres aber auch für viele Arthouse-Spielfilme nicht mehr funktioniere, sagte Birkenstock. Events, Festivals, Veranstaltungen mit Mitwirkenden oder auch Vorführung in Kooperation mit themenaffinen Interessengruppen seien bei solchen Inhalten vielversprechender. Alle Beteiligten müssten darüber nachdenken, wie sie von Modellen jenseits der klassischen Auswertungsfenster profitieren könnten. Die zeitgleiche Online-Auswertung könne für das Publikum eine wichtige Ergänzung darstellen, etwa wenn ein Film im Kino nur zu ungünstigen Zeiten am Nachmittag gespielt werde.

Grundsätzlich sei es eine gute Zeit für Regisseur:innen und Autor:innen im nicht-fiktionalen Bereich. Die Nachfrage nach dokumentarischen Stoffen sei immens gestiegen, beobachtet Birkenstock. Das sei nicht zuletzt auch auf die Streamer zurückzuführen. Die Zuschauer:innen sähen gerne Dokumentarfilme, wollten aber selbst entscheiden, wann und wo.

2) Sender und Mediatheken

Über die Strategien von Sendern und Mediatheken im Bereich der dokumentarischen Formate sprach Moderatorin Ute Soldierer beim 5. NRW-Dokutag der Film- und Medienstiftung NRW mit drei Verantwortlichen. Christiane Hinz, Leiterin der Programmgruppe „Dokumentation/Kultur und Geschichte“ beim WDR, zeigt sich dabei erfreut über die dynamische Entwicklung im Markt für Dokumentarfilme und -serien. Neue Erzählformen, neue Themen und neue Communitys würden erschlossen. Auch der WDR setze bei geeigneten Formaten auf eine „Online First“-Strategie. Eine Vorab-Auswertung in der Mediathek könne durchaus positive Effekte für die lineare Ausstrahlung haben und diese bewerben, betonte Hinz. Vor allem jüngere Nutzer:innen legten aber Wert auf das zeitsouveräne Schauen im Internet. Gerade auch in dieser Zielgruppe seien Dokus wie „Bhagwan – Die Deutschen und der Guru“ oder „Ich bin Greta“ in der Mediathek erfolgreich gewesen. Auch der eigene Youtube-Kanal WDR Doku mit mehr als 600.000 Abos spiele bei der Erschließung neuer Zielgruppen eine wesentliche Rolle, sagte Hinz. Bei der Produktion von dokumentarischen Formaten sei es für den WDR besonders wichtig, junge Talente mit Folgeaufträgen an sich zu binden, um der Konkurrenz durch die Streamer:innen entgegenzutreten.

Bei der virtuellen Konferenz kam auch Henning Tewes, Geschäftsführer RTL Televison und Co-Geschäftsleiter der Streaming-Plattform TV Now, zu Wort. Er betonte, dass bei der Auswahl von dokumentarischen Stoffen neben dem inhaltlich-narrativen vor allem auch der emotionale Zugang eine wichtige Rolle spiele. Eine hoch budgetierte Produktion wie die Verfilmung des Wirecard-Skandals könne in dieser Hinsicht ebenso attraktiv sein wie die regional angesiedelte Serie über den Fußballverein MSV Duisburg, in der der prominente Fan Joachim Llambi mitwirkt. Letztlich zeige diese zunächst auf sechs Teile angelegte Langzeit-Doku auch, dass man bei Formaten grundsätzlich keine Schere im Kopf habe, betonte Tewes. Länge, Ausspielform und Folgenanzahl müssten so angepasst werden, dass sie den jeweiligen Inhalten am besten gerecht würden. Es gehe nicht mehr darum, in Programmplätzen zu denken, sondern Protagonist:innen und Geschichten in den Vordergrund zu stellen. Gerade auch im Bereich der Dokumentation eröffne das Streaming eine neue kreative Freiheit, die das Genre auch für die privaten Anbieter zunehmend interessanter werden lasse.

Annina Zwettler, zuständig für Programmentwicklung digitale Medien und TV-Programmmanagement bei Arte Deutschland, berichtete beim NRW-Dokutag über den enormen Zuwachs um rund 50 Prozent, den der deutsch-französische Kulturkanal während der Pandemie vor allem bei der Nutzung seiner Online-Angebote verzeichnet habe. Dies gelte sowohl für den dokumentarischen als auch für den fiktionalen Bereich. Auch Drittplattformen wie Youtube oder Social-Media-Kanäle seien mittlerweile wichtige Plattformen für Arte. Die Mediathek als Herzstück werde mit gezielten Ankäufen für die Online Only-Auswertung und durch die Bereitstellung von erfolgreichen Programmen aus dem Archiv weiter ausgebaut und gestärkt, berichtete Zwettler. Wichtig sei es, die unterschiedlichen Zielgruppen möglichst optimal zu bedienen. Bei Youtube zum Beispiel werde in Zusammenhang mit Arte häufig nach dem Begriff „lange Doku“ gesucht. Für die Mediathek sei es unterdessen wichtig, alle Folgen einer Doku-Serie auf einmal online stellen zu können. Um sich im Wettbewerb mit Netflix, Amazon und Co behaupten zu können, benötige der Sender langfristige Nutzungsrechte im Online-Bereich, betonte Zwettler. Mindestens 90 Tage wolle man die Programme verfügbar machen, ein Zeitraum von nur sieben Tagen sei mittlerweile nahezu undenkbar.

3) Dokumentarfilm und Plattformen

Der Dokumentarfilm „Schwarze Adler“ über schwarze Spielerinnen und Spieler in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft erntete im April bei seinem Start auf Amazon Prime Video viel Lob von Kritik und Publikum. Beim virtuellen 5. NRW-Dokutag der Film- und Medienstiftung NRW sprach Moderatorin Ute Soldierer mit Leopold Hoesch, dem Geschäftsführer der verantwortlichen Produktionsfirma Broadview TV über die Entstehungsgeschichte und die Auswertung des 100-Minüters. Die Frage, ob man „Schwarze Adler“ ins Kino bringen wolle, habe sich gar nicht gestellt, weil zum Zeitpunkt der Fertigstellung die Lichtspielhäuser geschlossen gewesen seien, berichtete Hoesch. Durch die Corona-Krise sei die gelernte Form des Filmvertriebs ein wenig aus den Fugen geraten. Dadurch ergebe sich auch die Chance, neue Auswertungsformen auszuprobieren. Auch Amazon Prime Video als Lizenznehmer sei für diese Experimentierfreude offen gewesen.  Der Streamingdienst habe es akzeptiert, dass der Free-TV-Partner ZDF „Schwarze Adler“ bereits im Juni ausstrahlen dürfe. Hoesch hält auch danach noch eine Kinoauswertung für denkbar. Das Kino sei alles andere als tot, betonte der Produzent. Er sei davon überzeugt, dass es nach der Pandemie noch mehr wertgeschätzt werde als zuvor.

Geritt Roth, Principal Content Acquisition und Head of Film Acquisition Deutschland bei Amazon Prime Video, betonte bei der virtuellen Konferenz, dass sein Unternehmen bei der Gestaltung der Auswertung flexibel aufgestellt sei. Wichtig sei es, im Doku-Bereich authentische, relevante und bewegende Inhalte für die Plattform zu finden. Für interessante Stoffe wie eben „Schwarze Adler“ lasse sich immer auch ein Kompromiss finden, der eine zeitnahe Auswertung auf anderen Plattformen ermögliche, sagte Roth. Aus Sicht von Amazon sei es auch nicht zwingend, die Nutzungsrechte an einem Film über viele Jahre hinweg zu halten. Insgesamt machten dokumentarische Formate noch keinen allzu großen Teil des Programms bei dem Streamingdienst aus. Die bereits vorhandenen Inhalte funktionierten allerdings gut, führte der Film-Einkaufschef von Amazon aus. Auch er beobachte, dass dieses Segment im Wachstum sei.