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Film und Medien Stiftung NRW70. Hörspielpreis der Kriegsblinden – Preis für Radiokunst:
Die Jurybegründung für „ATLAS“ von Thomas Köck

Kurzform:
„[…] Thomas Köcks Hörspiel „Atlas“ trägt [die] Aspekte des titelgebenden Begriffs in sich. Es geht um konkrete, historische und psychische Lasten, die sich mit geopolitischen Fragen verschränken. […] Der Autor erzählt von Arbeitsmigrant:innen der 1980er Jahre, vom Mauerfall und den damit verbundenen psychosozialen Folgen; dann auch von den sogenannten „Boat People“, die nach dem Vietnamkrieg mit schlecht ausgerüsteten Booten aus dem Heimatland flohen und in Ost- und Westdeutschland als „Vertragsarbeiter“, respektive „Gastarbeiter“ Aufnahme fanden. […] Immer schwingt als Unterton der Erzählung das Bewusstsein von heutiger und längst vergangener Migrationsbewegungen mit. Gekonnt nuanciert der Autor zahlreiche gesellschaftliche Anspielungen und sein Stoff hätte das Zeug zu mehreren Melodramen. Doch Köck bleibt in dem von ihm abgesteckten konzeptionellen Rahmen, einer Reise, Jahrzehnte nach der erzwungenen Flucht, die auch als Reise in unser aller Geschichte der letzten vierzig Jahre gehört werden kann. Weil er seinen Figuren dabei sehr nahekommt und sie von heute aus ohne ideologisches Korsett auf die Welt schauen lässt, betrachten auch wir sie aus einer frischen Perspektive. Das ist immer wieder notwendig. Denn, in den Worten des Autors: ‚Gäbe es eine Logik in der Geschichte, wir würden sie uns nicht dauernd erzählen müssen‘.“

Vollständige Jurybegründung:
„Als architektonisch-skulpturales Element trägt ein Atlas schwere Lasten; in der Anatomie stützt er unseren Schädel; als Sammlung von Landkarten bietet er geografische Orientierung, und die Kulturgeschichte kennt ihn seit Aby Warburgs und Gerhard Richters Bildersammlungen als symbolischen Fundus von in sich beweglichen Wirklichkeitsschichten.
Thomas Köcks Hörspiel „Atlas“ trägt all diese Aspekte des titelgebenden Begriffs in sich. Es geht um konkrete, historische und psychische Lasten, die sich mit geopolitischen Fragen verschränken. Vor allem aber besteht es aus vielen Wirklichkeitsfacetten, die eine engagierte Zeitgenoss*in seit Jahrzehnten beschäftigen mag. Der Autor erzählt von Arbeitsmigrant*innen der 1980er Jahre, vom „Mauerfall“ und den damit verbundenen psychosozialen Folgen; dann auch von den sogenannten „Boat People“, die nach dem Vietnamkrieg mit schlecht ausgerüsteten Booten aus dem Heimatland flohen und in Ost- und Westdeutschland als „Vertragsarbeiter“, respektive „Gastarbeiter“ Aufnahme fanden. Köcks Protagonistin macht sich auf die Suche nach ihrem Ursprung in Vietnam und dem Grund dieser Fluchtsituation. Auf der Folie ihrer Familiengeschichte wird immer auch an nationale Geschichte erinnert – wie etwa, wenn Köck ein Treffen von vietnamesischen Funktionären mit ihren DDR-Parteikollegen nachimaginiert. Und immer schwingt als Unterton der Erzählung das Bewusstsein von heutiger und längst vergangener Migrationsbewegungen mit. Gekonnt nuanciert der Autor zahlreiche gesellschaftliche Anspielungen und sein Stoff hätte das Zeug zu mehreren Melodramen. Doch Köck bleibt in dem von ihm abgesteckten konzeptionellen Rahmen, einer Reise, Jahrzehnte nach der erzwungenen Flucht, die auch als Reise in unser aller Geschichte der letzten vierzig Jahre gehört werden kann. Weil er seinen Figuren dabei sehr nahe kommt und sie von heute aus ohne ideologisches Korsett auf die Welt schauen lässt, betrachten auch wir sie aus einer frischen Perspektive. Das ist immer wieder notwendig. Denn, in den Worten des Autors: ‚Gäbe es eine Logik in der Geschichte, wir würden sie uns nicht dauernd erzählen müssen‘.“