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54. Hörspielpreis der Kriegsblinden geht an Stefan Weigl

Bund der Kriegsblinden Deutschlands e.V. und Filmstiftung NRW verleihen zum 54. Mal die renommierte Auszeichnung für Hörspielautoren

Für sein Hörspiel "Stripped – Ein Leben in Kontoauszügen" erhält Stefan Weigl den diesjährigen Hörspielpreis der Kriegsblinden/Preis für Radiokunst. Der Hörspielpreis der Kriegsblinden, der zu den renommiertesten Auszeichnungen für Hörspielautoren zählt, wird gemeinsam vom Bund der Kriegsblinden Deutschlands e.V. und der Film­stiftung Nordrhein-Westfalen getragen. Mit dem Preis wird laut Statut jährlich ein von einem deutschsprachigen Sender konzipiertes und produziertes Hörspiel ausgezeichnet, das "in herausragender Weise die Möglichkeiten der Kunstform realisiert und erweitert". Die Preisverleihung, die abwechselnd in Berlin und Nordrhein-Westfalen durchgeführt wird, findet in diesem Jahr am 6. Juni auf dem Petersberg in Bonn/ Königswinter statt.

Das prämierte Hörspiel "Stripped – Ein Leben in Kontoauszügen" ist eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks. Das knapp einstündige Stück wurde am 24. Mai 2004 urgesendet.

Entschließung der Jury

"Mit dem 47-minütigen, rhythmisch-musikalisch zugespitzten Vortrag der eigenen Kon­toauszüge, wagt Stefan Weigl nicht nur einen Striptease, der den letzten Hort der Privat­heit – das eigene Girokonto – der medialen Öffentlichkeit preisgibt. Er kehrt darin die Metapher von der Nacktheit des Menschen als einen auf das Wesentliche reduzierten Urzustand um, indem sich das sprechende Ich allein aus seinen ökonomischen Rahmen­bedingungen definiert. Der maschinell erstellte Papierstreifen (Strip), wird so zum eigentlichen Dokument menschlicher Individualität und zugleich ihrer fortwährenden Aufhebung durch ökonomische Zwänge.

So geben die Kontobewegungen einerseits erschreckend detailliert Auskunft über Be­dürfnisse, Interessen, Verpflichtungen und Gewohnheiten des Autors und führen ihn in diesem Sinne nackt vor. Auf der anderen Seite entwickelt sich aus dem Vortrag jedoch auch die Geschichte eines Strebens nach Gesellschaftsfähigkeit, deren Tempo – fremdbe­stimmt, durch Konsumzwänge- im Hörspiel von Elektrobeats des Klangkunst-Duos "Ho­losud" diktiert werden. Sie endet mit jedem Monatsabschluss in drückender Stille, wenn das Saldo der Lebensführung genannt wird. Eine ihrerseits nackte Zahl markiert die exis­tentielle Bedrohung, die sich wie ein Schatten über die Jagd nach Werthaltigkeit legt. Jedes neue Minus, größer als das im Monat zuvor, löscht die Kontobewegungen aus und damit gerade die einzigen Zeugnisse, die das sprechende Ich von seiner Identität gibt. Auf dem dramatischen Wendepunkt, der Insolvenz, ändert der kafkaeske Kreis lediglich die Laufrichtung ohne einen Ausweg zu bieten: Nun wird das Konsumverhalten nicht mehr von individuellen Bedürfnissen bestimmt, sondern durch die Kredit gewährende Bank gemaßregelt. Nackt, in seinem Urzustand, ist der moderne Mensch als Homo oeconomicus entlarvt.

'Stripped – ein Leben in Kontoauszügen' ist ein Glücksfall für das Medium Radio, denn die künstlerische Verdichtung eines Sujets der Sozialreportage bei gleichzeitigem Verzicht auf literarische Ausgestaltung konnte in dieser Eindringlichkeit nur mit akustischen Mit­teln gelingen. Weigl thematisiert die Verarmung inmitten einer Wohlstandsgesellschaft, ohne dabei sozial benachteiligte Randgruppen aufzusuchen, er zeigt den Mechanismus von Konsumzwängen auf, ohne Jugendliche vorzuführen, die sich durch den exzessiven Gebrauch ihres Handys verschuldet haben, und er spielt gleichzeitig mit dem Voyeurismus des Reality-TV, ohne sich mit ihm gemein zu machen. Der Vortrag der eigenen Kontoaus­züge eines Autors bricht auf radikale Weise mit der "heilen" (scheinheiligen) Medienwelt und erlaubt erst die virulente, nicht nur betrachtend-beispielhafte Darstellung aktueller Missstände. Dass dies überzeugend gelingt, ist wesentlich der mutigen Gestaltung eines künstlerischen Experiments zuzuschreiben, das in seiner Machart Unikat bleiben dürfte."

Zum diesjährigen Preisträger

Stefan Weigl wurde 1962 in München geboren. Er studierte dort Germanistik, Orientalis­tik und Organisationspsychologie. Von 1989 bis 1999 arbeitete er als Texter und Creative Director für verschiedene Werbeagenturen in München, Düsseldorf und Köln. Von 1992 bis 2004 lebte Stefan Weigl in Köln; aus privaten Gründen zog er 2004 zurück nach Mün­chen und arbeitet dort seitdem als Autor für Film, Fernsehen und Hörfunk. Unter ande­rem wirkte er 1999 als Co-Autor am Drehbuch zu dem Spielfilm "Waschen Schneiden Legen" mit. "Stripped – ein Leben in Kontoauszügen" ist sein erstes Hörspiel.

Der Jury, zum ersten Mal unter Vorsitz von Dr. Michael Naumann, ehemaliger Kultur­staatsminister und jetziger Herausgeber der ZEIT, gehören jeweils sieben Kriegsblinde und sieben Fachkritiker sowie fünf von der Filmstiftung NRW berufene Juroren aus dem Kulturbereich an. Bei der zweitägigen Jurysitzung, bei der BR-Intendant Prof. Dr. Thomas Gruber, Vorsitzender der ARD, ein Grußwort sprach, fielen 11 von insgesamt 19 Stimmen auf "Stripped".

Der bedeutende Preis wurde u.a. bereits an Autoren wie Ingeborg Bachmann, Friedrich Dürrenmatt, Heiner Müller, Heiner Goebbels, Urs Widmer, Günter Eich, Ernst Jandl, Friederike Mayröcker, Walter Kempowski, Wolfgang Weyrauch, an Andreas Ammer/ FM. Einheit, Christoph Schlingensief und im letzten Jahr an Elfriede Jelinek vergeben.

Die Biographie finden Sie hier.
Ein Foto des Preisträgers erhalten Sie unter: