Das Fernsehen läuft hinter den Zuschauern hinterher
Internationaler Filmkongress: Drehbuchschreiben – Lust und Frust (Panel am 22.6. / 14.00)
Diskussionsteilnehmer "Drehbuch- schreiben – Lust und Frust" |
Ein gutes Drehbuch stellt die Basis für einen erfolgreichen Film dar. Doch schon bei der Fragestellung, wie ein gutes Drehbuch auszusehen hat, scheiden sich die Geister. Das Spannungsverhältnis zwischen Drehbuchautoren und Sendervertretern stand im Zentrum einer hitzigen Debatte, in der es darum ging, wie die kreative Freiheit durch Quotendruck und Formalisierung des Programms beschnitten wird. "Es reicht nicht, als Drehbuchautor begeisterungsfähig zu sein, über visuelle Erzählkunst zu verfügen und sein Handwerk zu beherrschen", konstatierte der Bonner Roman- und Drehbuchautor Markus Stromiedel. Ein Autor benötige einen langen Atem für eine ein- bis dreijährige Buchentwicklungs- und Finanzierungsphase. Zudem müsse er bereit sein, seine Geschichte nach den Vorgaben der Produzenten, Koproduzenten, Verleiher und Fernsehredakteure zu verändern. Das setze genug Selbstbewusstsein voraus, für seine Idee zu kämpfen, selbst wenn das Drehbuch am Ende unverfilmt bliebe und nur ein Teil des Honorars fließe.
"Den Sendern geht es nur um die Quote", wetterte Stromiedel. "Der Drehbuchautor ist austauschbar, denn es ist nicht sein Stil gefragt, sondern nur sein Handwerk. Er muss seine Träume vergessen, denn er soll das Format befriedigen." Seine Utopie sehe vor, dass ARD und ZDF zur Hauptsendeplatz einen fiktionalen Sendeplatz zur Verfügung stellten, auf dem sich die Autoren mit allen Genres und Formaten präsentieren könnten. Auch der deutsche Autor und Regisseur Dominik Graf, der kurzfristig seine Teilnahme an dieser Diskussion absagen musste, bescheinigt dem deutschen Film in seiner Keynote, dass kaum noch unterschiedliche Formen produziert werden, sondern nur noch Filme zu bestimmten Themen wie Krieg, Krankheit, Beziehungen oder Pubertät. Je seichter ein Stoff sei, desto größer seien seine Realisierungschancen.
"Wenn wir einen Sendeplatz dafür frei geben würden, verlieren wir unsere Zuschauer", erklärte Reinhold Elschot, Leiter der Hauptredaktion Fernsehspiel und stellvertretender Programmdirektor beim ZDF. "Die Autoren müssen an diesem arbeitsteiligen Prozess teilnehmen." Es seien häufig die Redakteure und Producer, die dazu beitrügen, dass ein Buch verfilmbar werde. "90 Prozent aller Bücher werden erst nach fünf, sechs Fassungen besser."
Genau gegen diese Art der Konfektionierung sträubt sich die Hamburger Drehbuchautorin Ruth Toma ("Solino, "Emmas Glück", "Kebab Connection"), die überwiegend Skripte für das Kino schreibt. "Für das Kino werden originäre Stoffe gesucht", so Toma. Mit Elschot habe sie eine Auseinandersetzung über Titel und Musik geführt, als er noch als Produzent für Network Movie tätig war. "Die Fernsehmacher haben ein einfacheres Bild von den Zuschauern, als sie haben müssten." Ein Sender müsse erfüllen, was die Zuschauer erwarteten, konterte Elschot, der mit dem ZDF-Montagfilm sechs bis sieben Millionen Zuschauer erreicht. "Ich bin dafür bekannt, ein Quoten-Mensch zu sein." Der Zuschauer müsse wissen, dass er bekomme, was er bestellt habe. "Wenn ein Film gut ist, hat der Sender die Pflicht, einen Titel zu nehmen, der dem Zuschauer gefällt."
Reinhold Elschot (ZDF) und Winka Wulff (Colonia Media) |
"Es dauert länger, außergewöhnliche Stoffe zu entwickeln als serielle Produktionen", weiß Winka Wulff, Geschäftsführerin der Kölner Produktionsfirma Colonia Media, diesich als Produzentin bei TV-Auftragsproduktionen zunächst allein mit dem Autor zusammensetzt. "Erst danach folgt die vielstufige Entscheidung beim Sender." Neben dem Handwerk müssten Autoren auch über Können und Leistung verfügen. Insgesamt gibt es in Deutschland rund 800 Drehbuchautoren, von denen 420 im Verband Deutscher Drehbuchautoren organisiert sind. Allerdings befänden sich unter den Mitgliedern noch keine Spiele-Entwickler. "Wir werden die Mitgliedschaft eventuell neu definieren müssen", sagte Katharina Uppenbrink, Geschäftsführerin des Verbandes Deutscher Drehbuchautoren, die im Auditorium die Diskussion verfolgte.
"Es erfolgt langsam eine Annäherung", versicherte der Game-Designer Dr. Michael Bhatty. "Wir können viel voneinander lernen, denn es besteht Bedarf nach guten Geschichten." Im Game-Bereich hätten die Autoren die Möglichkeit, Genres wie Science-Fiction, Fantasy oder Action zu bedienen, die ihnen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen fehlten. "Wir müssen zu Formaten kommen, in denen die Gegner eine Motivation besitzen und dramaturgisch sinnvoll sind. "Die Geschichten können in verschiedenen Universen erzählt werden. ,Auch über Webisodes ließen sich neue Wege begehen. "In fünf Jahren werden wir andere Formen haben", fügte Elschot hinzu. Bestimmte Produktionen würden dann nur noch kurz im Fernsehen zu sehen sein.
"Warum wird das Programm so formalisiert?", fragte sich Toma. "Das Fernsehen läuft hinter den Zuschauern hinterher statt sie anzuführen." Das Programmschema schaffe Verlässlichkeit, unterstrich Elschot. "Der Zuschauer möchte wissen, was zu einer bestimmten Zeit im Fernsehen läuft." Bei bestimmten Formaten müsse die Musik so gewählt sein, dass der Zuschauer sofort das Format erkenne, selbst wenn er erst später in den Film einsteige. "Ich kann keine Leichen im Fernsehen mehr sehen", stöhnte Stomiedel mit Verweis auf die zahlreichen SoKo-Serien im ZDF. "Sie müssen sich das nicht ansehen", entgegnete Elschot. "Ich möchte aber nicht Premiere sehen", widersprach der Autor. Ich möchte von den öffentlich-rechtlichen Sendern bedient werden, für die ich Gebühren zahle."
Laut einer US-Studie, resümierte die Moderatorin Luzia Braun, Redakteurin bei der ZDF-Sendung "Aspekte", sei der Erfolg eines Filmes ganz entscheidend vom Drehbuch abhängig. "Die Regie und die Stars spielen eine wesentlich kleinere Rolle."
Den Podcast zum Panel können Sie hier anhören.
Auf dem Podium: Dr. Michael Bhatty, Luzia Braun, Markus Stromiedel, Ruth Toma, Reinhold Elschot und Winka Wulff |
Fotos: Heike Herbertz / Filmstiftung NRW
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