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Film und Medien Stiftung NRWNewsNewsDas war der Dokutag NRW 2023

Das war der Dokutag NRW 2023

Zum siebten Mal richtete die Film- und Medienstiftung NRW ihren Dokutag NRW aus. Geschäftsführerin Petra Müller begrüßte dazu am 26. April 2023 Produzent:innen, Regisseur:innen, Sendervertreter:innen, Verleiher:innen und weitere Gäste im Alten Pfandhaus in der Kölner Südstadt. Nachdem in den Vorjahren vor allem die Entwicklungen im Serienmarkt thematisch im Vordergrund gestanden hätten, wolle man diesmal einen Blick darauf werfen, wie es aktuell um die „Königsdisziplin“, den abendfüllenden Dokumentarfilm, bestellt sei, kündigte Müller zum Auftakt des Dokutags an.

Auf einem von Arne Birkenstock, Geschäftsführer der Kölner Produktionsfirma Fruitmarket und Vorstandsmitglied der Deutschen Filmakademie, moderierten Panel standen anschließend zunächst aktuelle filmpolitische Themen im Mittelpunkt. Christoph Fey, Rechtsanwalt und u.a. filmpolitischer Berater des Produzentenverbands, sowie die per Video zugeschaltete Susanne Binninger, Ko-Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG DOK), sprachen über wünschenswerte Reformen in der Filmförderung. Binninger lobte noch einmal den jüngsten Vorstoß von Kulturstaatsministerin Claudia Roth zur Filmförderung. Darin seien aus Sicht der Dokumentarfilmer:innen viele gute Ansätze enthalten gewesen, so die Idee, die Entwicklungsförderung auszubauen, was für den Dokumentarfilm wirklich hilfreich wäre, auch dass Roth von Contentförderung spreche, könne positiv sein, da man oft zu Anfang einer Entwicklung noch nicht weiß, ob es Serie oder Kino würde. Fey betonte, wie wichtig die Investitionsverpflichtung für Streamer in jenen Märkten sei, aus denen sie Umsätze mit ihren Abo-Modellen generierten. Auch ein Anreizmodell nach österreichischem Vorbild hielten Fey und Binninger für sinnvoll. Dabei werde ein nicht rückzahlbarer Zuschuss in Höhe von etwa 30 Prozent der Produktionskosten gewährt. Dieser könne als grundlegender Baustein für ein Filmprojekt dienen, ohne dass zum Beispiel erst noch ein Senderpartner gefunden werden müsse. Eine große Reform des FFG hält Fey trotzdem für unrealistisch. Wohingegen Susanne Binninger betonte, dass  einzelne Veränderungen sicher einfließen würden in das FFG und es jetzt um Ausgestaltungsfragen ginge.

Welchen Stellenwert der abendfüllende künstlerische Dokumentarfilm für Sender und sonstige Plattformen hat, erörterte Regisseurin Luzia Schmid als Moderatorin auf einem weiteren Panel beim Dokutag NRW u.a. mit Martin Pieper, Redaktionsleiter bei ZDF/ARTE. Obwohl die Sendeplätze für das „Grand Format“ bei ARTE reduziert worden seien, spiele der hochwertige Dokumentarfilm nach wie vor eine wichtige Rolle – gerade auch in der Mediathek des deutsch-französischen Kulturkanals, so Pieper. Hier habe u.a. die vielfach preisgekrönte dänische Produktion „Flee“ hohe Abrufzahlen erreicht. Neue Perspektiven für anspruchsvolle Dokumentationen sieht Pieper auch in einem entsprechenden Förderprogramm der Documentary Experts Group der EBU. Lysann Windisch, Director of Distribution, berichtete danach über die Strategie von MUBI in Deutschland. Die Streaming-Plattform, die ihren Abonnenten jeden Monat eine kuratierte Auswahl von 30 Filmen anbietet, verfüge hierzulande über die Rechte an rund 1.000 Titeln, berichtete Windisch. Zehn bis 15 Prozent davon seien Dokumentationen. Mit der App „MUBI GO“ schlage man zudem eine Brücke zum Kino: Dort können sich die Abonnenten ohne Zusatzkosten Vorführungen ausgewählter Filme ansehen. Außerdem würden sie einzelne Filme mit großen Marketingkampagnen begleiten, so aktuell den Film „Liebe, D-Mark und Tod“ von Cem Kaya, den sie in der Türkei herausbringen. Das wäre wichtig, um immer wieder das Augenmerk auf die Plattform und einzelne Filme zu lenken.

Im Rahmen des Dokutags standen auch mehrere detaillierte Betrachtungen einzelner Produktionen auf dem Plan. So gab Regisseur Andres Veiel erste Einblicke in sein aktuelles Projekt „Riefenstahl“. Die Dokumentation über die wegen ihrer Nähe zum NS-Regime umstrittene Filmemacherin Leni Riefenstahl realisiert er in Zusammenarbeit mit Sandra Maischbergers Produktionsfirma Vincent TV. Veiel hat dafür Zugriff auf 700 Kisten mit Material aus Riefenstahls persönlichem Nachlass. Der Filmemacher berichtete auch über die anfänglichen Schwierigkeiten, mit dem heiklen Filmstoff Unterstützer zu finden. Lediglich die Film- und Medienstiftung NRW förderte „Riefenstahl“ zu einem frühen Zeitpunkt als Modellprojekt und stellte nun auch Produktionsförderung zur Verfügung. Ansonsten sei zunächst nur der WDR mit im Boot gewesen, der das Projekt maßgeblich unterstützt hat, so der Regisseur. Andernorts sei das Projekt abgelehnt worden. Offenbar gab es Bedenken, dass Veiel die Protagonistin zu positiv darstellen und damit Beifall von der falschen Seite provozieren könnte. Auch der Filmemacher sieht nach eigener Aussage eine Herausforderung darin, sich Riefenstahls eigene, verharmlosende Version ihrer Lebensgeschichte nicht zu eigen zu machen. Anders als bei seinen bisherigen Filmen trete er diesmal selbst als Ich-Erzähler auf, um seinen eigenen Zweifel am Umgang mit dem Material besser dokumentieren zu können.

In von Sonja Hofmann, Geschäftsführerin des Filmbüro NW, moderierten Case Studies wurden danach Erfolgsgeschichten von Dokumentarfilmen aus unterschiedlichen Perspektiven nachgezeichnet und die Auswertungsstrategien beleuchtet. Regisseurin Steffi Niederzoll und Produzentin Melanie Andernach (Made in Germany) sprachen über ihre viel beachtete Dokumentation „Sieben Winter in Teheran“. Der Film über eine im Iran hingerichtete jungen Frau ist nach zwei Auszeichnungen auf der Berlinale mittlerweile zu zahlreichen internationalen Festivals eingeladen worden und läuft in Frankreich mit guten Besucherzahlen im Kino. Die Filmemacherinnen berichteten u.a. über die schwierigen Bedingungen, unter denen das frühzeitig von der Film- und Medienstiftung unterstützte Projekt zustande kam. „Sieben Winter in Teheran“ enthält u.a. auf Ton- und Bildmaterial, das aus dem Iran geschmuggelt wurde. Steffie Niederzoll betonte die Bedeutung von Filmgesprächen für die Wahrnehmung Rezeption des Stoffs.

Besondere Herausforderungen, wenn auch ganz anderer Art, mussten Regisseurin Regina Schilling und Produzent Thomas Kufus (zero one) bewältigen, um ihr Künstlerporträt „Igor Levit – No Fear“ doch noch wie geplant auf die Leinwand bringen zu können. Mitten in den Dreharbeiten kam ihnen und dem im Mittelpunkt stehenden Starpianisten die Pandemie in die Quere. Levits geplante Auftritte wurden abgesagt. Sein Umgang mit der neuen Situation wurde ebenfalls zum Thema des Films. Der Film war zunächst von einigen Festivals abgelehnt worden, was es für die Auseinandersetzung und für die Wahrnehmung schwerer macht. Interessanterweise ist der Film jetzt, nachdem er in Deutschland schon ausgewertet ist, nochmal auf internationale Festivals eingeladen. Aktuell zu dem in dieser Woche beginnenden Hot Docs Festival nach Toronto. Verleiher Enrico Dirksen (Piffl Medien) berichtete, dass die Musik-Dokumentation nach der Kinoauswertung nun auch beachtenswerte DVD-Verkäufe verzeichnen könne.

Martin Kochendörfer vom X Verleih sprach anschließend über die erfolgreiche Auswertung der ungewöhnlichen französischen Naturdokumentation „Die Eiche – Mein Zuhause“, die Laurent Charbonnier („Nomaden der Lüfte“) und Michel Seydoux im Stil eines Spielfilms inszeniert haben. Bei der Herausbringung in Deutschland habe man u.a. mit Naturschutzinitiativen kooperiert. Es sei gelungen, ein breites Publikum aus allen Altersschichten anzusprechen, berichtete Kochendörfer, der die aktuelle Besucher:innenzahl in den deutschen Kinos auf 120.000 bezifferte. Damit ist „Die Eiche“ auf dem besten Weg, in die Sphären von „Die Unbeugsamen“ vorzudringen. Regisseur Torsten Körner landete 2021 mit seiner Dokumentation über engagierte Frauen, die sich ihren Platz im politischen Betrieb der Bonner Republik mühsam erkämpfen mussten, einen Überraschungserfolg mit rund 180.000 Besucher:innen im Kino. Leopold Hoesch (Broadview TV) betonte insbesondere die Bedeutung von Testscreenings für den Erfolg eines Films und berichtete , dass  Körner derzeit an einem Nachfolgeprojekt arbeitete,  in dem es um Politikerinnen in der DDR gehen soll.

In Frankreich ist unterdessen „Dancing Pina“ von Regisseur Florian Heinzen-Ziob der erfolgreichste Kinostart eines deutschen Dokumentarfilms seit zehn Jahren gelungen. Der Filmemacher und Elina Kewitz vom Weltvertrieb New Docs berichteten in Köln u.a. über die Entstehungsgeschichte des Projekts über das Werk der 2009 verstorbenen Wuppertaler Tanztheater-Ikone Pina Bausch. Heinzen-Ziob beschrieb auch die umfangreiche Kampagne, die die Grundlage für die große Resonanz in Frankreich gewesen sei. Neben Plakaten und Radiospots habe es einen langen Interview-Tag gegeben, dem sich Bauschs Sohn Rolf-Salomon beteiligt habe. Mehr als 70 Medien hätten über „Dancing Pina“ berichtet. Darunter sei auch die führende Sportzeitung L’Équipe gewesen, so der Regisseur schmunzelnd. Diese habe u.a. Vergleiche zwischen Bauschs Choreografien und der Trainer-Kunst eines Pep Guardiola gezogen. Im Mai läuft Dancing Pina auf dem Dokumentarfilmfestival Docaviv in Tel Aviv. Hier wird der Film in Kooperation mit dem Landesbüro NRW in Tel Aviv vorgestellt.

Zum Abschluss des 7. Dokutag NRW begrüßte Moderator Arne Birkenstock den Direktor des International Documentary Film Festival Amsterdam, Orwa Nyrabia. Das IDFA gilt als weltgrößtes Festival seiner Art. Nyrabia gab zu bedenken, dass bei Dokumentationen zu populären Themen, wie etwa Biografien bekannter Musiker:innen, oftmals die Leistung der Filmemacher:innen in den Hintergrund rücke, weil sich die ganze Wahrnehmung auf die Hauptfiguren konzentriere. Außerdem betonte er, dass es wichtig sei, Filmemachen als Kunst zu begreifen und nicht nur als Handwerk. Nyrabia rief dazu auf, bei der Bewertung des Erfolgs von Dokumentarfilmen nicht nur kommerzielle Aspekte in den Vordergrund zu stellen. Aus künstlerischer Sicht stehe an erster Stelle, mit seinem Werk Menschen zu berühren. Dabei komme es nicht auf die Anzahl der Zuschauer im Kino an.

Beitragsbild: Luzia Schmid und Andres Veiel © Claudia Ast