Film- und Medienstiftung NRW fördert neun Hörspielprojekte
Die Film- und Medienstiftung NRW vergibt Arbeitsstipendien für neun Hörspielprojekte in Höhe von insgesamt 42.000 Euro. Die entsprechenden Empfehlungen erarbeitete der Beraterstab in der dritten Sitzung des laufenden Jahres.
„Aufruhr vor dem Schuss“ von Stefanie Delfs und Antonia Märzhäuser (Köln und Berlin), 6.000 Euro
Die beiden Journalistinnen recherchieren die Geschichte eines 72jährigen Lokalpolitikers aus Köln-Porz, der aus, mutmaßlich fremdenfeindlichen, Motiven Schüsse auf einen zwanzigjährigen Mann abgegeben hat. Die Vor-Ort-Recherche in Köln-Porz wirft viele Fragen auf. Dort schwelen die sozialen Konflikte seit Jahren. In der 4-teiligen Feature-Serie geht es nicht nur um die Aufarbeitung und Begleitung eines Strafprozesses mit politischer Sprengkraft, sondern auch um eine Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen und sozialen Kontext, in dem diese Tat geschehen konnte.
„Nueva Germania – Wagner und Nietzsche in Paraguay“ von Andreas Hartmann und Carlos V. Irmsche (Berlin), 6.000 Euro
Die Autoren begeben sich auf die Suche nach den Überresten der vergessenen deutschen Kolonie „Nueva Germania“. Diese wurde Ende des 19. Jahrhunderts von Elisabeth Nietzsche, der Schwester von Friedrich Nietzsche, und ihrem antisemitischen Ehemann Bernhard Förster zur Rettung der germanischen Kultur gegründet. Im Geiste Richard Wagners sollte mitten im Tropenwald von Paraguay ein neues Deutschland errichtet werden. An der Schnittstelle zwischen Hörspiel und Feature treffen die Autoren die noch heute in der Kolonie lebenden Nachfahren der gescheiterten vermeintlichen Utopie und lassen die Erzählung durch den regen Briefwechsel zwischen Elisabeth und Friedrich Nietzsche erlebbar machen. Dabei soll thematisch der Frage nachgegangen werden, wie wichtig, bzw. schädlich nationale Identifikation und kulturelle Erinnerung für den Menschen und eine Gesellschaft sein können.
„Weg der Erinnerung“ von Andreas von Westphalen, Fabian von Freier (Köln), 6.000 Euro
Die Autoren widmen sich in diesem Stück einem wichtigen und fast vergessenen – oder ignoriertem – Ereignis: Dem größten Massaker des 2. Weltkriegs: Babyn Jar in Kiew. Im September 1941 wurden hier 33.000 Juden erschossen. In den zwei Besatzungsjahren folgten etwa 70.000 weitere Exekutionen von Juden, Kriegsgefangenen, Nationalisten, Kommunisten, Sinti und Roma sowie Patienten der Psychiatrie. Basierend auf einer aufwendigen Archiv-Recherche zeichnet das Hörspiel anhand von Tagebüchern, Briefen, offiziellen Dokumenten etc. das Grauen in Kiew während des Zweiten Weltkriegs nach. Dabei sollen die Hörenden sowohl die Opfer-, als auch die Täterperspektiven erleben.
„2022 A.D.“ von Georg Zeitblom, Christian Wittmann (Berlin), 4.000 Euro
Analog zu der ersten und einzigen futuristischen Oper „Sieg über die Sonne“ aus dem Jahr 1913, ist das Ziel dieses Hörstücks das Überwinden eines überholten Weltbildes und Kunstverständnisses und den damit einhergehenden Hörgewohnheiten. Die Basishandlung der Oper bietet zudem die Matrix für eine ausführliche Beschäftigung mit sowjetischen Futuristen. Allen voran Andrej Platonow, der bereits in den 1920er Jahren die Voraussetzung für eine Neuschöpfung des Weltbewusstseins analysierte und eine holistische Betrachtung des Universums, sowie die Beendigung der destruktiven Systeme fordert.
„Die Echos der dünnen Blume“ von Agnese Cornelio (Köln), 4.000 Euro
Die Autorin wird sich in diesem Hörspiel mit der Geschichte italienischer Einwanderer:innen in den 1950er bis 1970er Jahren im Ruhrgebiet und in der Wallonie auseinandersetzen. Fiktionales und dokumentarisches Material wird dabei miteinander verknüpft. So werden die Erfahrungen der damaligen Protagonist:innen und ihrer Angehörigen, sich im Fremden neu zu definieren, zu arbeiten und sich zu integrieren, in der Retrospektive aus einer neuen Lebensphase betrachtet.
„Nach(t)gang“ (AT) von Stefanie Heim, Vivien Schütz (Erfurt), 4.000 Euro
In einer Nacht sind eine Frau und ein Mann unabhängig voneinander auf dem Weg zu einer Party. Sie benutzen das Handy als Navigationsmittel und verschicken Sprachnachrichten – bis sich ihre Wege kreuzen. Das Hörspiel beschäftigt sich mit dem oft mangelnden Sicherheitsgefühl, insbesondere von Frauen, im öffentlichen Raum. Wie bewegt man sich nachts allein? Nimmt man die Abkürzung oder den Umweg über die heller erleuchtete Hauptstraße? Welche Gedanken sind häufig präsent und welche Strategien wurden internalisiert? Das Handy mit seinem Instant-Messaging-Dienst wird dabei zum Safe Space.
„Pimp your life! Selbstversuch in ferngesteuerter Selbstoptimierung“ von Tina Klopp (Köln), 4.000 Euro
Die Autorin plant ein experimentelles Hörspiel, das als Podcast angelegt ist: In einem Selbstversuch stellt sie sich die Frage, wie man sich am besten durchs Leben manövriert. Dafür wird sie sich von professionellen Coaches durch schwierige Lebenssituationen navigieren lassen. Mit Anweisungen im Ohr versucht sie soziale Hemmungen abzubauen, um ein höheres Gehalt zu feilschen, das coolste WG-Zimmer zu bekommen, sich selbst in Situationen zu behaupten, die ihr eine Nummer zu groß scheinen. Nicht nur die eigene Performance steht dabei zur Disposition, sondern auch die der Coaches. Sind die Life- und Business-Coaches, Kirchenvertreter:innen und Esoteriker:innen wirklich eine Unterstützung bei der Suche nach dem perfekten Leben? Alle Situationen sind echt, werden live-on-tape mitgeschnitten.
„Pyramidenkorrektur“ von Tom Heithoff (Bochum), 4.000 Euro
Der Autor plant ein satirisches Stück in Form einer Mockumentary. Die Alterspyramide steht auf dem Kopf. Die Rentner:innen, Dementen und Pflegebedürftigen werden immer zahlreicher. Das Geld für sie wird hingegen immer knapper. Da sollte sich doch eine Lösung finden lassen. Eine politisch korrekte natürlich, die nach außen hin alles dafür zu tun scheint, die Lebensbedingungen der Alten zu verbessern, aber in Wirklichkeit dazu dienen soll, den Berg der Alten möglichst elegant abzubauen. Für dieses Ziel ist kein Programm zynisch genug, von kostenlosen Rauchkursen bis zum Bombenentschärfen in der Ostsee ist alles dabei. Dabei geht es natürlich politisch korrekt zu und alles ist zukunftssicher gegenfinanziert.
„Wer hören kann, wird sehen“ von Magdalena Schrefel (Berlin), 4.000 Euro
Ausgangspunkt des Stücks ist die reale Begebenheit, dass Erich Kästner mit seiner Partnerin und 60 weiteren Personen im Frühjahr 1945 nach Tirol ausreist, um dort vermeintlich einen Alpenfilm für das deutsche Publikum zu drehen. Dieser soll nach dem so genannten „Endsieg“ in die Kinos kommen – wurde aber nie gedreht. Erich Kästners Tagebücher legen die Interpretation nahe, dass die Reise eine sanfte Sabotage war, bei denen Produktionsmittel angezogen wurden und Männer sich in den Alpen in Sicherheit bringen konnten, die sonst noch an die Front gemusst hätten. Das Hörspiel möchte sich auf die Suche danach begeben, was der Film hätte sein können. Dabei geht es immer auch um die Frage wie wir etwas was (nicht) war, erinnern können. Wie wird Geschichte nicht nur gemacht, sondern erzählt?
Die Mitglieder des Beraterstabs waren Christiane Florin, Deutschlandfunk, Volker W. Degener, Verband Deutscher Schriftsteller in NRW, und Stefan Cordes, WDR. Die zuständige Förderreferentin für Hörspiel bei der Film- und Medienstiftung NRW ist Anke Morawe. Der nächste Einreichtermin ist der 18. Februar 2021.
Für weitere Informationen: Film- und Medienstiftung NRW, Katharina Müller, Tel.: 0211-93050-39,