Interview Nicolas Wackerbarth: Charmant, eigen und mehr sage ich nicht
Gleich mit dem ersten Lang-Kinofilm sind Sie auf der Berlinale vertreten – wie fühlt man sich da?
Wie zuhause. Ich lebe ja schon seit längerem in Berlin. »Halbschatten« läuft im Forum, da habe ich selbst viele schöne, präzise und eigene Filme sehen können. Jetzt werde ich wohl mit der U-Bahn zur Premiere fahren. Und falls ich nervös werde, trinke ich einen Vodka und nehme mir ein Taxi.
An welchem Wendepunkt in ihrem Leben steht Merle, die Hauptfigur?
Merle hat sich eine Widerständigkeit gegenüber ihrer Umgebung bewahrt. Das Gefühl, dass sie selbst bestimmt, wer sie ist und wozu sie noch kommen wird in ihrem Leben. Auch wenn die Blicke der anderen bereits fragende sind. Ich psychologisiere meine Figur nicht, gebe ihr keine erklärende Backstory an die Hand. Ich finde, das nimmt einem Charakter meistens seine Würde. Es ist eher eine biografische Situation, mit der ich sie in die Konflikte meines Films bringe. Merle ist Ende Dreißig und sieht sich mit Fragen konfrontiert, die ihr Leben bislang nur peripher berührten. Der ökonomische Druck nimmt plötzlich zu, Freunde gründen Familien… Die Verwunderung darüber, dass einem die Dinge nicht mehr zufallen wie früher. Der aufkommende Zweifel, den Anschluss verpasst zu haben. Sie sieht die Dringlichkeit der Fragen, verweigert aber die Antwort. Da erscheint eine Einladung nach Südfrankreich in ein Haus und in Lebenszusammenhänge, die sie früher von sich gewiesen hätte, die aber eine Idealvorstellung verkörpern, plötzlich als sehr attraktiv.
Wie entwickeln Sie Ihre Stoffe? Woher kam die Idee zu »Halbschatten«?
Als Jugendlicher verbrachte ich einen Sommer in der Gegend und der Gesellschaft, in denen der Film spielt. Eine Frau, die sonst Bücher in einer Bibliothek ordnete, passte darauf auf, dass ein Haufen verwöhnter Kids in der Villa nichts kaputt machen. Erinnerung ist selektiv, und etwas ist da hängengeblieben. Die Intimität, an einem anderen Leben anzudocken. An etwas zu partizipieren, das einen zugleich ausschließt. Du bist dabei, aber hast nichts von diesem Leben, letztendlich bist Du da allein. Das berührt mich, da bildet sich etwas ab für mich. Die Realität ist chaotisch, und in diesem Filter der Erinnerung, in dieser Verengung, ergeben sich eigentlich Filme.
Sehen Sie sich eigentlich mehr als Schauspieler oder als Regisseur?
Ich habe bereits im Schauspielstudium Theaterstücke geschrie ben. Bei meinem ersten Kurzfilm zeigte sich, dass in der Schauspielführung für alle etwas Wertvolles herauskam. Eine Schauspielkarriere muss konsequent verfolgt werden, und ich spiele nur noch für Freunde. Meine Stoffentwickung, meine Entscheidungen im Casting und auf dem Set sind aber von meinem Zugang zum Schauspiel beeinflusst: den Vorgängen vertrauen, Situationen aushalten, die sonst nur anzitiert werden, sich Zeit nehmen und präzise auch in den kleinsten Abläufen oder Regungen sein.
Konnten Sie bei der prominenten Besetzung auf Ihre Kontakte als Schauspieler zurückgreifen?
Das Image eines Schauspielers sehe ich wie die Festlegung auf Rollenfächer differenzierter. Ich habe mit mehreren Schauspielerinnen improvisiert. Anne Ratte-Polle weiß vermutlich nicht, dass ich sie in in einem O2-Laden dabei beobachtet hatte, wie sie einen Handyvertrag aushandelte. Ich habe nicht gestalkt, es hat sich einfach so ergeben… das Stalking. Und was sie da gemacht hat, das mochte ich. Es war charmant, eigen und – mehr sage ich nicht.
Weitere Interviews und Artikel zu den NRW-Filmen auf der Berlinale gibt es im aktuellen Magazin der Film- und Medienstiftung, das auch als PDF-Download hier erhältlich ist.