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TINCONLINE: Interview mit Dennis Leiffels

Ende April fand die erste TINCONLINE statt, die Online-Ausgabe der Teenage Internet Convention (TINCON), die live über YouTube gestreamt wurde. Crossmedia-Journalist Dennis Leiffels vom Y-Kollektiv sprach dort zusammen mit weiteren Gästen über Hate Speech im Internet. Der Talk ist inzwischen als Einzelvideo verfügbar; ebenso die gesamte Aufzeichnung des Tages. Die Film- und Medienstiftung NRW war einer der Hauptförderer der TINCONLINE.

 

Das Thema Deines Talks bei der TINCONLINE waren Hate Speech und Cybermobbing im Internet. Zusammen mit der Journalistin Anna Breithausen hast Du mit dem Staatsanwalt Christoph Hebbecker gesprochen. Er ist bei einem Sonderdezernat für Hate Speech in NRW, der deutschlandweit größten Einrichtung dieser Art. Was war das zentrale Thema Eures Gesprächs?

Dennis Leiffels: Der Kern unseres Talks war die Frage, wie und unter welchen Bedingungen man Hate Speech vor Gericht bringen kann. Und die Entwicklungen, die es in den letzten Jahren dazu gegeben hat. Wahrscheinlich gibt es inzwischen kaum noch einen Politiker auf Bundesebene, der nicht im Internet schon mit dem Tode bedroht wurde. Hasskrimininalität ist mittlerweile ein anerkanntes Phänomen, das ernst genommen wird. Dennoch kann es in Deutschland weiter blühen, denn die Polizei ist schlecht aufgestellt. Das Bewusstsein ist bei den höheren Ebenen vorhanden, aber bei den Polizisten, die es aufnehmen und verfolgen müssen, ist das oft anders. Außerdem gibt es immer noch zu wenig Staatsanwälte, die solche Straftaten adäquat verfolgen. Die Situation ist insgesamt sehr unbefriedigend.

Warum ist das immer noch so und mit welchen Arten von Hass werden die Opfer konfrontiert?

Ein grundlegendes Problem scheint zu sein, dass Polizisten nicht wahrnehmen, dass das Netz besonders für den jungen Teil der Bevölkerung ganz selbstverständlich zu ihrer Lebenssphäre gehört. Auch für mich ist es das. Und ich mache keinen Unterschied, ob mich jemand im Internet beleidigt oder im realen Leben. Vielen jungen Menschen ist ihr digitales Leben sehr wichtig. Nicht selten bekommen sie dann bei einer Anzeige zu hören, dass sie doch einfach aus dem Internet rausgehen sollen, aber so einfach ist das natürlich nicht. Allein schon, weil es fast immer im Realleben Auswirkungen von Cybermobbing gibt. In einem Fall, den ich recherchiert und im TINCONLINE-Talk vorgestellt habe, wurde ein 17-Jähriger namens Max von einem Unbekannten über acht Monate gestalkt und mit Hasspostings überzogen. Eines Tages kam der Junge zu seiner Schule, wo der Täter überall Zettel aufgehängt hatte, die Max als Homosexuellen outeten. Dann schaltete der Unbekannte eine Todesanzeige mit einem Bild des 17-Jährigen. Für einen jungen Menschen ist sowas ein absoluter Albtraum, sein Leben hat sich durch diese Monate nachhaltig verändert. Und dann wünscht man sich eine Polizei und eine Staatsanwaltschaft, die das sehr ernst nehmen und dem nachgehen.

Habt Ihr Lösungswege aufzeigen können?

Es gibt Opferstellen, die speziell geschult sind und an die man sich immer als erstes wenden sollte. Sie bieten individuelle Vorschläge und Lösungen. Ich vertrete die Meinung, dass man in einem zweiten Schritt zur Polizei gehen sollte, um die Straftaten zur Anzeige zu bringen. Auch wenn die Erfolgsaussichten auf ein Verfahren oder sogar eine Verurteilung sehr gering sind. Denn wir leben in einem Rechtsstaat, es gibt die Gesetze und die Staatsanwälte sind verpflichtet, solchen Straftaten nachzugehen. Je mehr Leute das tun, desto präsenter wird das Problem bei der Polizei insgesamt und in den Polizeidienststellen. Das ist sehr wichtig.

Warum sind die Erfolgsaussichten so gering?

Das Problem ist oft der Faktor Zeit, die Polizei müsste schneller handeln. Laut Vorratsdatenspeicherungsgesetz dürfen IP-Adressen nur sieben Tage gespeichert werden, dann sind diese wichtigen Beweismittel in der Regel einfach weg. Quick-Freeze-Verfahren, mit denen man schnell digitale Spuren sichern kann, können in Deutschland aus rechtlichen Gründen nicht angewendet werden. Außerdem können Täter auch relativ einfach ihre IP-Adressen verschleiern und es den Ermittlern so besonders schwer machen. Problematisch ist, dass viele immer noch das Phänomen Cybermobbing belächeln, aber die Mechanismen sind die gleichen wie bei anderer Internetkriminalität. Die Regeln, die wir uns über Jahrzehnte oder Jahrhunderte als Gesellschaft erkämpft haben, müssen auch im Netz gelten. Und wenn dir dann ein Polizist antwortet, dass er in der Behörde keine Youtube-Links öffnen kann und ein Video deswegen nicht Teil der Anzeige werden kann, dann ist das einfach bitter.

Warum sind neben Hate Speech auch Verschwörungstheorien oder Rassismus im Netz so populär?

Negative Meinungen sind einfach. Sie sind einfach zu produzieren und einfach zu konsumieren. Komplexe Probleme werden mit einem einfachen Slogan beantwortet, der in seiner Kürze dazu einlädt, schnell weiterverbreitet zu werden. Man merkt sie sich besonders leicht, weil sie negativ sind, Psychologen sprechen da von „Framing“. Positive oder lange Kommentare gehen schneller unter in den Kommentarspalten, differenzierte Meinungen sind im Netz schneller unterdrückt als einfache, falsche Meinungen, egal wie hanebüchen sie sind. Hass ist ein wunderbarer Katalysator, der Leute schnell und leider effizient mobilisiert. Der Gegenbewegung fehlt es häufig an Motivation: Candystorms sind im Netz einfach unpopulärer, weil schwieriger und vielleicht unbefriedigender. Genau deshalb ist Journalismus, der über Fake-News aufklärt, gerade enorm wichtig.

Interview: Werner Busch